Dienstag, 11. September 2012

Heute vor zwei Jahren


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Heute vor zwei Jahren beobachten wir immer wieder sichtgeschützte Häuser.

Wikipedia: 


Kulla in Theth in Nordalbanien, in der sich von der Blutrache bedrohte Männer einschlossen

Beim Kanun (Albanisch auch Kanuni, von griechisch κανών (kanón)) handelt es sich um ein mündlich überliefertes altes Gewohnheitsrecht der Albaner.

Wenn von Kanun die Rede ist, meint man meist den Kanun des Lek Dukagjini, da dieser am besten dokumentiert wurde und als erster schriftlich festgehalten wurde. Es gab aber diverse regionale Varianten wie zum Beispiel Kanun von Skanderbeg (albanisch: Kanuni i Skënderbeut), Kanun i Arbërisë, Kanun der Labëria (Kanuni i Labërisë) und Kanun der Malësia e Madhe (Kanuni i Malësisë së Madhe).

Kanun des Lek Dukagjini

In den nordalbanischen Bergen waren die Bewohner durch die dortigen geografischen Gegebenheiten so von der Außenwelt abgeschottet, dass sich hier ein aus dem Mittelalter stammendes, möglicherweise sogar vorrömisches Gewohnheitsrecht bis in die Neuzeit erhalten hat. Dieses wird in seiner meistzitierten Fassung als Kanun des Lek Dukagjini (albanisch: Kanuni i Lekë Dukagjinit) bezeichnet, nach einem zu Skanderbegs Zeiten lebenden mächtigen Fürsten. Unwahrscheinlich ist die häufige These, dass Lek (Alexander) Dukagjini (1410 – 1481) Namensgeber oder sogar Urheber dieser Gesetzessammlung war. Lek ist vielmehr das albanische Wort für Gesetz (heutiges Standard-Albanisch: ligj).[1]
Grundlage des Kanuns ist das Leben in der Großfamilie, in welcher in der Regel drei Generationen unter der Anführerschaft des ältesten Mannes unter einem Dach wohnten. Die Gesetzessammlung regelt die Bereiche Schuldrecht, Ehe- und Erbrecht, Strafrecht sowie Kirchen-, Landwirtschafts-, Fischerei- und Jagdrecht ziemlich umfassend. Im Strafrechtsbereich ist der Kanun noch von der Ehrverletzung geprägt, wobei der Begriff des Gottesfriedens als Teilaspekt der Besa bereits bekannt ist. Da der Kanun bis heute tief im Denken der nordalbanischen Gegen verwurzelt ist, entsteht oft ein Konflikt zwischen modernen Gesetzen und dem Kanun. Die Frauen spielen im Kanun eine marginale Rolle und haben kaum Rechte. Sie gelten als „Schlauch“ (shakull), „in dem die Ware transportiert wird“, sind aber auf der anderen Seite unverletzlich, wenn es zu Ehrverletzungen kommt.
Die Nordalbaner erkannten keine zentrale Herrschaft an. Streitigkeiten wurden auf Versammlungen (Kuvend) der Familienoberhäupter eines Dorfes oder Stammes geregelt, einer Art Landsgemeinde resp. Thing. Einzige weltliche Autorität war der Kapedan („Kapitän“), der jeweils vom Oberhaupt der Familie Gjonmarku gestellt wurde. Er war Anführer der Mirditen und letzte Instanz in Entscheidungen und Streitfragen. Die Rechte der privilegierten Familie und die Rolle des Kapedan waren im Kanun genau umschrieben. Jeder Mirdite, der jemanden tötete, musste den Gjonmarku eine Abgabe zahlen.

Kanun i Papazhulit

Im Süden des Landes bestand ein nur in Details verschiedener Kanun i Papazhulit, auch Kanun i Labërisë, der auf die unterschiedlichen sozialen, religiösen und gesellschaftlichen Umstände Rücksicht nimmt. Im weniger abgeschiedenen Südalbanien waren die Bedeutung und die tiefe Verwurzelung in der Bevölkerung aber viel geringer.

Besa

Der ganze Kanun baut auf der Ehre auf, aus der sich zahlreiche Pflichten, negative Aspekte wie die Blutrache, aber auch positive Aspekte wie das Gastrecht und die Besa ableiten. Letztere lässt sich nicht direkt ins Deutsche übersetzen, sondern umfasst die Begriffe „Friedenspakt, Allianz, Waffenstillstandsabkommen, gastfreundschaftliches Bündnis, Ehre des Hauses, Ehrenwort, Schwur, Sicherheitsgarantie, Loyalität, Treue und anderes mehr“[2]. Die Besa schützt von der Blutrache Bedrohte für gewisse Zeiten oder Orte vor Verfolgung und entbindet gleichzeitig den zur Blutrache Verpflichteten, ein Verbrechen zu rächen. Die Besa konnte einerseits zwischen Personen oder Familien vereinbart werden. Sie wurde zum Beispiel für wichtige Besorgungen, Feldarbeit, familiäre Feiern oder kirchliche Feiertage gewährt. Meist wurde auch dem Mörder für gewisse Zeit nach einer Blutrachetat Besa gewährt. In der Besa für Vieh und Hirten erlaubten Stämme untereinander, das andere Stammesgebiet zu bestimmten Zeiten und auf bestimmten Strecken bereisen zu dürfen. Die allgemeine Besa unterband alle Sühnetaten in Kriegszeiten.
Daneben waren aber auch ganze Personengruppen wie Frauen, Kinder oder Priester vor Verfolgung geschützt.
Ein besonderes Versprechen ist dasjenige der Eingeschworenen Jungfrauen, niemals eine sexuelle Beziehung einzugehen, dafür ein Leben wie ein Mann führen zu können.

Geschichte

In den unzugänglichen nordalbanischen Gebirgen hatten die Osmanen, die das Land rund 500 Jahre lang besetzten, nie wirklich die Macht erlangt. Somit konnten sie dort auch nicht ihre Gesetze einführen. Mangels anderer staatlicher Macht konnte sich der Kanun deshalb bis in die Neuzeit erhalten.
Das immer nur mündlich überlieferte Gesetzeswerk wurde erstmals vom Franziskanerpater Shtjefën Gjeçovi (1874 – 1929) am Ende des 19. Jahrhunderts in der Version des Kanun des Lek Dukagjin gesammelt und in der Folge in Teilen publiziert. Die erste vollständige Publikation erschien 1933 in Shkodra.
Während der kommunistischen Diktatur in Albanien war der Mechanismus der Blutrache sistiert; denn der Staat konnte seine Rechtshoheit landesweit durchsetzen. Seit dem Zusammenbruch des Kommunismus anfangs der 1990er Jahre hat sich insbesondere die Blutrache wieder etabliert. Der junge demokratische Staat war zu schwach, um diese Dynamik der Selbstjustiz regulieren zu können. Erst das Erstarken des albanischen Staates nach den Unruhen von 1997 führte zu einem langsamen Rückgang der Blutrache-Konflikte. Heute sollen – je nach Quelle – wieder bis zu 15.000 albanische Familien in Blutrache-Konflikte verstrickt sein, die zum Teil auf Vorfälle vor dem Zweiten Weltkrieg zurückgehen. Dabei werden die regulierenden Bestimmungen des Kanun aber meist nicht eingehalten, so dass auch Kinder und Frauen bedroht werden und in ärmlichen Verhältnissen zu Hause gefangen sind. Dieses Aufweichen der Regeln veranlasste Gjin Marku, Vorsitzender des schlichtenden Komitees der Nationalen Aussöhnung, von einer degenerierten Form des Kanuns zu sprechen.[3]
Die katholische und die islamische Geistlichkeit in Nordalbanien sprechen sich konsequent für die Achtung des bürgerlichen Rechts und damit für die Sistierung des Kanuns aus. Ihr Einfluss auf die Gläubigen und vor allem auf die religiös nicht Gebundenen ist allerdings begrenzt.
1990 haben in Kosovo, Mazedonien und Montenegro über eine Million Albaner an verschiedenen Versöhnungsfeiern teilgenommen. Diese wurden von einer Gruppe um den Soziologen Anton Ceta († 1995) organisiert.[4] In Albanien gibt es seit einigen Jahren ein sogenanntes Versöhnungsprojekt, bisher aber nur mit kleinen Erfolgen.