Eigentlich wollen wir heute Museen anschauen, Fotos machen und die Stadt erkunden. Aber wir kommen ins Sprechen und haben dafür so selten wirklich Zeit, dass darüber der halbe Tag vergeht. Als die Mägen knurren entscheiden wir, irgendwo was zu kaufen und gehen die Straße entlang. Das Café unweit von uns hat leider kein W-Lan. Wir gehen weiter und kaufen in einem anderen Laden ein, was wir aber anhand der Preise bitter bereuen. Also werden wir wohl doch wieder in „unseren“ alten Laden gehen, auch wenn uns dann ein weiteres Gespräch über Hitler-Begeisterung ins Haus steht. Die Suche nach einer Bäckerei war auch erfolglos und es fängt so an zu schneien, das wir kurzentschlossen wieder ins Hotel gehen und den restlichen Nachmittag dort verbringen. Ein wenig haben wir das Gefühl, wirklich frei zu haben, denn die anderen beiden Visumsangelegenheiten können wir erst nächste Woche machen. Dennoch gehen wir am Abend noch einmal raus, auf der Suche nach einem Bäcker fürs Frühstück und einem Buchladen für ein neues Buch für Gunda.
Nach dem doppelten Frühstück, bei dem Wolfgang in der Regel die Spiegeleier von Gunda noch mit übernimmt und wir nach wie vor das Brot links liegen lassen, aber Butter und Marmelade für den nächsten Morgen horten, gehen wir auf die Suche nach einer Geldwechsel-Stube. Für die erste Bank ist es zu früh, die zweite empfindet unsere Dollarscheine als zweifelhaft und schaut ebenfalls zweifelnd auf die anderen, die wir bieten. Da wir wieder ganz in den Norden müssen, verlassen wir die zudem unfreundliche Bank und machen einen Kassensturz: fürs Taxi reicht es nicht, aber U-Bahn geht. Also fahren wir wieder nach Norden und steigen diesmal ohne Schnee und mit einem Stadtplan aus. Zudem sehen wir die Berge und sind daher voll orientiert. Es geht die Hauptstraße stetig bergauf, vorbei an vielen Geschäften und: einer Wechselstube. Dort mag man zwar unseren 100 Dollar-Schein von 1990 auch nicht, aber dafür die anderen schon. Nachdem wir an keiner Moschee vorbeigekommen sind, fragen wir nach einer Toilette und werden in einen Hossein-Festsaal im Keller geleitet. Das verblüfft uns immer wieder: in an Banken angeschlossene Wechselstuben finden einen Weg für eine Toilette so wie es im Irak nie ein Problem war, am Militär-Checkpoint die Toilette zu benutzen. Wir wandern weiter und erst nach einigen Kilometern und damit Höhenmetern liegt wieder Schneematsch auf den Bürgersteigen. Für uns mit den Radschuhen und ihren Klicks ist das eine absolute Rutschpartie, aber es geht problemlos, auf der Straße zu laufen. Nach etwas über einer Stunde erreichen wir die tadschikische Botschaft und die Visumsstelle ist draußen mit kleinem Dach und grünen Plastikstühlen an der Wand, in der ein minimales Fenster für die Kommunikation zu finden ist. Es ist ein ganz nettes und schnelles Visumsverfahren. Anschließend laufen wir in „unser“ Internet-Café unweit der usbekischen Botschaft. Es ist eine reiche Wohngegend, selbst die Straßen haben hier einen Wachposten und den Autos und Menschen ist ihr Geld anzusehen ebenso wie den Läden und Gebäuden. Dank unseres Stadtplans finden wir einen schnelleren Weg zur U-Bahn zurück, immer noch eine Stunde zu Fuß. Die Sonne scheint und die Berge sind zu sehen wenngleich über der 300-400m tiefer liegenden Stadt die Dunstglocke hängt. Wieder im Zentrum angekommen gehen wir ins Hotel und kaufen auf dem Weg in einem Laden ein, der vernünftige Preise hat, aber wieder einmal einen Hitler-Fan hinter der Theke. Das ist immer wieder eine schwierige Situation. Wenn unser Gegenüber kein Englisch kann, ist es leicht, denn dann können wir das Sprechen über آریا unter „ich versteh nicht“ beenden, bei Hitler ist das schon schwieriger. Unsere Standardantwort auf „I am in love with Hitler“ ist dann „We are not!“. Und auf „He is a good man who did good“ “We don’t think like this / For us he is not / we do not agree”. Es ist und bleibt eine beklemmende Situation, in die wir nicht häufig kommen wollten.
Wir fahren ja mit einer EU-Flagge (und keiner Deutschland-Flagge) an Wolfgang´s Hänger. Aber so richtig klappt das nicht mit unserer Identität. In Bosnien und Herzegowina und im Kosovo steht diese Flagge für die Europäischen Truppen, in den kurdischen Gebieten in der Türkei wird die Flagge wie die kurdische begrüßt (es gibt schließlich EU-kofinanzierte Projekte mit dieser Flagge in Kurdistan/Irak), dafür werden wir Bosnien und Herzegowina von Jugendlichen mit „Heil Hitler“ begrüßt, ebenso im Irak und im Iran. In Serbien schreien Jugendliche „Serbia“ als sie unsere Flagge sehen. In Albanien hält man viel von den Deutschen, was uns aber nachdenklich stimmt, weil hier die deutsche Wehrmacht gemeint ist. Im Irak und Iran ist Hitler der große Star, weil er „stark“ ist und die „Arier“ bevorzugt. Überall im Laufe von Jahrzehnten und Jahrhunderten das Bemühen, die eigene Ethnie mit einer Macht zu verbünden, um schließlich auf der Seite der Sieger zu stehen und dadurch Autonomie und eigene Gebiete zu erlangen. So begegnet uns Hitler immer wieder positiv konnotiert als Macht, wo es sich lohnt, sich mit einem zukünftigen Sieger zu verbünden.
Je weiter östlich wir fahren, desto weniger ist die EU-Flagge überhaupt noch bekannt und auch Europäische Union ist ein Wort, das mit einem großen Fragezeichen belegt ist. Wenn wir sagen, dass wir aus Europa kommen, dann wird das mit fragenden Stirnrunzeln beantwortet. Eine andere Konnotation zu Deutschland ist Fußball, dort aber vor allem die Mannschaft von 1974 und natürlich die Produkte aus Deutschland. Interessant ist, dass die einzige Frage, die uns hier gestellt wird, ist: „Where do you come from?“. Es scheint das einzige zu sein, was wirklich zählt. Bei uns ebenso wie bei den Produkten, die benutzt werden. Es wird aufgezählt, was alles aus Deutschland, Japan, Frankreich, Italien oder sonst wo her kommt, überhaupt nicht jedoch betont, was aus dem Iran kommt. Stolz machen ausländische Produkte und das Erkennen ausländischer Produkte.
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