Freitag, 8. Januar 2010

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Wie kriegt die Realität einen wieder? Gerade sitze ich in einen dieser neuen, coolen Retro-Cafés in Kreuzberg, lauter philosophisch dreinschauende Männer. Oder zeitungslesend. Das ist natürlich eine Möglichkeit, in der Tat sogar eine gute. Neben mir sitzt so ein Exemplar, mit aufgeschlagenem Notizblock, leer.
Wie sieht die Welt aus nach einem solchen Auftauche. In Berlin ist manches irgendwie sortierter, es gibt sogar beinahe schöne Wege. Grünanlagen. Städte jenseits des Bahnhofs erleben ist bestimmt eine gute Idee. Und doch, immer wieder führt der Weg beinahe automatisch in die DB-Lounge. So etwas Verrücktes. Früher war ich dort wenn ich aufs Klo musste und eben noch schnell ein Wasser trinken wollte. Jetzt verbindet sich damit ein beinahe heimatliches Gefühl. Heimat finden und Heimat zulassen ist also auch eine Notwendigkeit. Was aber tun, wenn dieses Gefühl sich immer und immer wieder mit einer Stadt verbindet? Dagegen kämpfen? Es zulassen? Ihm misstrauen? Es missachten? Darauf hinarbeiten? Das ist beinahe so etwas wie eine Irrealität in der Irrealität. Das sind die Momente in denen ich mich dann frage, was ist eigentlich real?
Eine weitere Erfahrung: Zeit vergeht ganz anders. Sie wirkt langsamer. Es ist jetzt zum Beispiel 12.49 und ich bin seit 12.00 hier und es ist gar nicht lange, aber es kommt mir ganz lange vor und ich habe schon wieder den Drang weiter zu laufen oder doch wenigstens ins Internet zu gehen (was es hier aber nicht gibt). Was tun. Hier bleiben, aushalten, schauen was passiert? Weiter laufen? Per Zufall in der Lounge landen? Zulassen, dass auch das ok wäre? Es bewusst nicht zu tun und beobachten?
Ins Museum gehen? Ein Gespräch anfangen? An der Habil arbeiten?
Die ganz Mutigen setzen sich nach draußen, obwohl es nach Schnee riecht. Aber wahrscheinlich sind die ganz Mutigen einfach nur Raucher.
Mit der Möglichkeit, Milch zu trinken, eröffnen sich viel mehr Wege der Gestaltung. Aber einfach einen schwarzen Kaffee nach dem anderen zu trinken nur um etwas zu tun, geht einfach nicht. Der kreative neben mir hat es aufgegeben und telefoniert. Er gibt seine Daten durch.
Gegenüber sitzt der akribische Zeitungsleser, Seite für Seite, ordentlich umgeschlagen und dann glatt gestrichen und mit geradem Rücken lesend. Daneben der IMac-Surfer.
Faktisch tue ich jetzt das, was ich zwei Jahre lang vermisst habe und es ist mir schwer, es zu genießen. Ich habe zwei Jahre lang gedacht, dass ein Sitzen im Café super wäre. Sitzen und denken. Es ist es auch, wenngleich es nicht leicht ist. Und dennoch sind es Momente vielleicht sogar des Glücks, wenn es gelingt, zu denken und wahrzunehmen. Nicht in der Zukunft oder der Vergangenheit zu hängen. Beim Hängen in der Vergangenheit ist es interessant und zugleich auch bezeichnet, dass dabei die Themen der Arbeit eher in den Träumen vorkommen. Ich träume immer noch und nach wie vor sehr viel von der Arbeit. Aber ich denke bewusst wenig dran. Was bewusst bleibt im Denken sind Begegnungen. Also bleibt eher das Fühlen denn das Denken. Das Denken geht eher in Richtung Zukunft. Sogar in Richtung Forschung, Nachdenken und Zusammenhängen. Dann ist so ein Loslassen von Arbeit wohl vor allem ein Thema des Fühlens. Des Sich-Loskoppelns von Augenblicken. Des Persönlichen in eigentlich unpersönlichen Settings, die aber emotional aufgeladen werden rein durch die Planungsstruktur. Keine andere Gruppe würde man ohne jedes Entlassungsritual in einen solchen Prozess hineinbegeben.

G#