Montag, 15. November 2010

12.-15. November 2010 - 104, 105, 106, 107

15. November Nusaybin (kurdisch Nisêbîn, aramäisch: ܨܘܒܐ, Soba) nach Cizre (kurdisch Cizîr; auch Cizîra Botan, aramäisch Gziro), 86,04 km 5594,0 Gesamt km

Datum: 15.11.10
Tag: 107

TagesunterstützerIn: "Basisgeminde Frankfurt

c/o: Dr. Thomas Seiterich"

von: Nusaybin m NN 456

nach: Cizre m NN 370

km 86,04

Gesamt km 5525,3727

km/h: 13,44

Fahrzeit 06:23

gesamte Fahrzeit: 415:45:00

Anstieg in m pro h 48,41

Anstieg in m 309

Abfahrt in m: 395

höchster Punkt in m NN 670

Steigung/Gefälle 0,82

Wir werden von einem übereifrigen Hahn noch vor dem Muezzin (arabisch ‏مؤذّن‎ mu'adhdhin, DMG muʾaḏḏin) geweckt und stehen kurz darauf auf. Nachdem wir die Räder gepackt haben, bekommen wir ein wunderbares Frühstück und nach einem Gruppenfoto fahren wir los. Zunächst geht es weiter durch die Ebene, die in der Hauptsache per Hand bewässert werden.


Wieder gibt es als einzige Infrastruktur kleine Läden am Rande der Straße, wir kehren wieder in einem ein. Es ist wieder ein von Kurden geführter Laden, die wiederum über die EU-Fahne ganz froh sind.


Für sie ist es völlig normal, in den كۆماری عێراق zu fahren, aber es ist zu spüren, dass sie denايران nicht mögen. Nach einem Tee fahren wir weiter und werden bald auf eine Hochebene geführt. Dort ist auf der einen Seite die syrische Grenze, die Dörfer sind allesamt im etwas tiefer gelegenen Tal auf der anderen Seite und wir sehen Geisterdörfer dort oben oder leer stehende Häuser. Einige wenige Dörfer sind an der Straße gelegen. Die Gegend ist steinig und trocken. Die Felder werden den Steinen abgetrotzt und es gibt keine Bäume. Wir fahren immer wieder über trockene Flussläufe.
Oben auf dem Pass gibt es eine große Kaserne, da es weiter bergauf auf, fahren wir so langsam, dass uns ein wachhabender Soldat anspricht und wir halten an. Bald ist die ganze Kompanie auf der Straße und schaut uns an. Sofort kommt ein Offizier, der fließend deutsch spricht und wir (also Wolfgang) unterhält sich kurz mit ihm, bevor die Kompanie wieder antreten muss. Wir bekommen eine Flasche Wasser geschenkt und werden dann gebeten, von der Kaserne wegzufahren. Wir fahren weiter und weiter und es ändert sich an der Landschaft unwesentlich etwas, bis wir im Dunst plötzlich Bergketten vor uns sehen. Wir sind eigentlich auf der Suche nach etwas Essbarem, geben das aber irgendwann auf. Es scheint nichts zu geben. So machen wir an einer aufgebenen Tankstelle eine Pause. Kurz darauf hätte es sogar etwas gegeben, aber wir beschließen, in die Stadt weiter zu fahren. Es geht steil bergab und die syrische Grenze ist direkt neben uns. Wir wissen, dass nur ein wenig südlicher die irakische Grenze dazu stößt. Wir werden steil bergab in die Ausläufer der Stadt Cizîr geführt, die uns mit den ersten Slums, die wir in der Türkiye Cumhuriyeti gesehen haben, und ihren unvermeidlichen Kinderhorden begrüßt. Die Straße wird richtig schlecht und der Weg führt steil bergauf. Wir haben mindestens vier Kinder auf Rädern und unzählige andere im Schlepptau, als wir in die Stadt oder besser gesagt, in die fester gebauten Häuser gelangen. Zu den Kindern gesellen sich zwei junge Erwachsene auf einem Motorrad, die so an Wolfgangs Fahne ziehen, dass er gestoppt wird. Wir diskutieren, drohen und versuchen, die Kinder irgendwie zu beschäftigen bis wir jemanden finden, den wir nach einem Hotel fragen können. Trotz des Kinderstresses fällt uns auf, dass die Frauen hier wieder ganz andere Schleier tragen, ein wenig sehen sie aus wie Klarissen oder Benediktinerinnen. Andere tragen auch keine Kopftücher. Fast alle tragen einen Mundschutz, denn die Luftverschmutzung ist unvorstellbar. Auf dem Mittelstreifen leben drei Kühe, in den Seitengassen gibt es sowohl ganz neue Häuser als auch Baracken. Es scheint, als sei die Stadt voll von Flüchtlingen aus den Bergen in der Türkei, aus dem Irak und anderen Ländern. Unser Hotel ist an der Hauptstraße und der Besitzer hat sofort verstanden, dass wir einen sicheren Platz für die Räder brauchen. Es ist ein riesiges Hotel, das so vor sich hin renoviert wird. Es ist alles andere als sauber, aber es ist für uns ok. Morgen werden wir versuchen, die Stadt früh zu verlassen und dann in Richtung العراق fahren.

14. November Kızıltepe (deutsch Roter Hügel; kurdisch: Qoser, arabisch: Tell-Ermen, dt.: Hügel der Armenier) nach Nusaybin (kurdisch Nisêbîn, aramäisch: ܨܘܒܐ, Soba), 82,44 km 5507,4 Gesamt km
Tag: 106

TagesunterstützerIn: "Basisgeminde Frankfurt

c/o: Dr. Thomas Seiterich"

von: Kiziltepe m NN 509

nach: Nusaybin m NN 456

km 82,44

Gesamt km 5439,3327

km/h: 13,71

Fahrzeit 06:00

gesamte Fahrzeit: 409:22:00

Anstieg in m pro h 15,17

Anstieg in m 91

Abfahrt in m: 144

höchster Punkt in m NN 530

Steigung/Gefälle 0,29
Es gibt doch schon um 6:30 Frühstück und anschließend bepacken wir die Räder und fahren mit nur sechs Kindern, die allesamt echt nett sind, im Schlepptau los. Zuvor haben wir im morgendlichen durch die Kanäle zappen mit Erstaunen festgestellt, dass es schon oder erst früh morgens richtig harte Pornos im Fernsehen gibt. Wir verlassen das teure Hotel, das so ziemlich gar keinen Service hatte, fahren an der örtlichen Polizei vorbei, die einen Schützenpanzer vor der Tür stehen hat und fahren weiter 30 km durch die künstliche Bewässerung. Bei einer Trinkpause werden wir von einem Bauern angesprochen, der uns erzählt, dass vor dem Krieg auf dieser Straße viele Restaurants waren, nun gibt es eigentlich nichts mehr. Diese Erfahrung machen wir auch, selbst die Tankstellen haben nichts mehr. So halten wir bei einem kleinen Laden gegenüber der syrischen Grenze und bekommen dort einen Tee und eine kurze Einführung in die Situation an der Grenze und der Kurden. Wir fahren weiter an der syrischen Grenze entlang und sehen, dass der Zug von Gaziantep nach موصل (arabisch الموصل‎, DMG al-Mauṣil Mosul oder Mossul; türkisch Musul; kurdischموصل‎/Mûsil; syrisch-aramäisch:ܢܝܢܒ݂ܐ/Nîněwâ) im Grenzbereich hochgesichert fährt. In der Grenzstadt finden wir ein Fernfahrer-Restaurant, wo wir essen. Da wir zur Bank müssen, fahren wir in die Stadt hinein und es wird ein Spießroutenlauf mit den Kindern. Wieder einmal sind es Massen an Kindern und wieder einmal kümmert sich kein Erwachsener darum, was sie tun. Ein Junge stellt sich auf Wolfgangs Wagen, ein andere will auf mein Rad steigen, als ich es abgestellt habe um beide Räder zu sichern. Es ist eine Mischung aus anscheinend Straßenkindern und anderen Kindern. Wir fahren wieder raus und werden von einer Horde verfolgt, einige mit dem Rad. Auch hier hat die Polizei Wasserwerfer und Schützenpanzer auf ihrem Gelände, das Militär hatte schon richtige Panzer stehen. Nur mit Schreien und einigen abrupten Stops, so dass die Radfahrenden aus dem Rhythmus kommen, kommen wir da raus und sind erst mal ziemlich schlecht gelaunt. Wir trinken an einer Tankstelle etwas Wasser und fahren weiter. Hier sehen wir, wie die Bewässerung funktioniert, wenn sie nicht technisiert ist: es werden per Hand Furchen gegraben in die dann das Wasser hineingeleitet wird, Wir kommen an einer Menge solcher Felder vorbei, gefolgt von vielen kleinen Dörfern. An einer Tankstelle holen wir Wasser und überlegen, wo wir übernachten können. Die Gegend bietet keinerlei Schutz, es gibt keinen Baum und nichts und die Gegend ist recht dicht besiedelt. Wir kommen an einem weiteren Dorf vorbei, wo wir wieder von Kindern verfolgt und mal wieder mit Steinen beschmissen werden. Wir können mit Geschwindigkeit entkommen und überholen einen Traktor, der uns daraufhin bittet anzuhalten und uns für die Nacht einlädt. Wir nehmen das gerne an, denn wir hätten keinen Ort gefunden. So finden wir eine große Familie und bekommen das große Zimmer zum Schlafen,



können uns duschen und bekommen köstliches Essen.


Wir erfahren, dass das ganze Dorf kurdisch ist, der Hausvater auch, er sich aber als Türke versteht.

13, November Tanyeli nach Kızıltepe (deutsch Roter Hügel; kurdisch: Qoser, arabisch: Tell-Ermen, dt.: Hügel der Armenier), 88,66km 5424,5 Gesamtkm

Datum: 13.11.10
Tag: 105
TagesunterstützerIn: "Basisgeminde Frankfurt
c/o: Dr. Thomas Seiterich"
von: Tanyeli m NN 596
nach: Kiziltepe m NN 509
km 88,66
Gesamt km 5356,8927
km/h: 14,58
Fahrzeit 06:04
gesamte Fahrzeit: 403:22:00
Anstieg in m pro h 41,04
Anstieg in m 249
Abfahrt in m: 336
höchster Punkt in m NN 610
Steigung/Gefälle 0,66

Der Morgen ist kalt und begrüßt uns mit 1-2 Grad. Wolfgang bewältigt das Abwaschen und Kaffee-Kochen wacker bei diesen Temperaturen und wir frühstücken bei immerhin 12 Grad im Zelt. Das Abbauen ist nicht vergnüglich, aber die Sonne kommt hervor und wärmt ab 7:00. Wir fahren weiter den ganzen Tag durch die bewässerte Ebene. Immer wieder erahnen wir, dass es hier Wüste und Steppe wäre, wenn nicht bewässert würde. Auf der einen Seite werden die Maisfelder geerntet und anschließend abgebrannt. Dennoch sind unendlich viele Familien in den Feldern unterwegs und suchen die liegen gebliebenen Maiskolben auf. Es ist Baumwollernte, die hier per Hand ebenso geschieht wie die Paprika-Ernte. Auch heute sehen wir Kühe, die sich durch unabgeerntete Baumwollfelder ebenso futtern wie Herden von Schafen und Ziegen auf frisch gesäten Feldern.
Zweimal werden wir auf unsere EU-Fahne angesprochen. Einmal mit einer erfreuten Reaktion, weil ein alter Herr mit Tuch meinte, es sei die kurdische, dann von einem Jungen, der ebenfalls in ihr die kurdische erkannte. Als EU-Fahne ist sie schon lange nicht mehr erkannt worden. Heute fahren wir nach Kızıltepe (deutsch Roter Hügel, (kurdisch: Qoser, arabisch: Tell-Ermen, dt.: Hügel der Armenier) hinein und wieder ist die Stadt so groß, dass wir nicht durch kommen werden. Wie sehen ein Hotel und steuern es an und erreichen es, umringt von Kindern. Nach reichlichen Diskussionen können wir die Räder in den Keller stellen. Bereits auf dem Weg in die Stadt haben wir viele junge und alte Menschen gesehen, die alles, was irgendwie verwertbar ist, aufsammeln und in der Stadt ist es auch so. Als wir einkaufen gehen, werden wir gefragt, ob wir türkisch sprechen, als wir das verneinen, ob wir kurdisch reden. Als wir auch das verneinen ist der Verkäufer für einen Moment ratlos. Deutsch ist aber auch ok. Wir würden gerne herausbekommen, wie die kurdische Situation ist und wo die Flüchtlinge vor allem leben, aber wir haben leider kein Internet hier im Hotel. Aufallend ist, dass Männer und Frauen hier in der Regel dieselben Tücher tragen und wir nicht wissen, ob das türkisch, kurdisch oder arabisch ist. Die Art und Weise, wie hier Tücher getragen werden, ist sehr vielfältig, oft einfach nur über den Kopf gebunden, so dass auch die Haare zu sehen sind. Leider wissen wir zu wenig darüber, wo solche Tradition her kommt.
Heute fahren wir wieder an vielen Dörfer vorbei, die in traditioneller Bauweise an einen Hügel und in den Hügel gebaut sind, viele ohne Moschee.

12. November Şanlıurfa ([ʃanˈlɯuɾfa], arabisch ‏الرها‎, DMG ar-Ruhā, kurdisch Riha, syrisch-aramäisch ܐܘܪܗܝ Urhoy) nach Tanyeli, 84,96 km, 5335,3 Gesamt km

Datum: 12.11.10
Tag: 104
TagesunterstützerIn: "Basisgeminde Frankfurt
c/o: Dr. Thomas Seiterich"
von: Sanli Urfa m NN 535
nach: Tanyeli m NN 596
km 84,96
Gesamt km 5268,2327
km/h: 13,79
Fahrzeit 06:09
gesamte Fahrzeit: 397:18:00
Anstieg in m pro h 51,87
Anstieg in m 319
Abfahrt in m: 258
höchster Punkt in m NN 728
Steigung/Gefälle 0,68

Wir packen unsere Räder vor den erstaunten Blicken der anderen Gäste. Nach unserer Erfahrung sind die eifrigen Mitarbeitenden, die zu Beginn, also bei Bezug des Zimmers, einem in einem Tempo helfen, dass es einen schwindelig macht und für uns auch nicht möglich ist, da das mit den Rädern halt etwas länger dauert als einen Rollkoffer zum Aufzug zu rollen, zum Check-Out nicht mehr weiter interessiert an uns und so können wir in Ruhe bepacken und auschecken, ohne dass uns die Taschen aus der Hand gerissen werden.
Durch das morgendlich Şanlıurfa kommen wir ohne Stau hindurch und befahren ein kurzes Stück die neue Autobahn, die an der Universität schon fertig weit. Anschließend führt uns der Weg vorbei an Baumwollfeldern, die maschinell schon geerntet sind und nun nach einer zweiten Ernte per Hand durch Familien einer dritten Ernte unterlaufen: diesmal werden die Baumwollpflanzen aus der Erde geholt, gestapelt und auf Wagen verladen. Auch hier sind wieder Familien am Werke, Mütter mit Babies unterm Arm, Kinder, Alte. Alle sind dabei. Nachdem die Straße eine ganze Weil durch die Ebene führt geht sie bald einen Pass hoch. 


Dort ist die Gegend wieder deutlich unwirtlicher, auf der einen Seite Steppe, auf der anderen Seite der Steppe und den Steinen abgerungener Acker. 


Wir sind schon über mehrere Kanäle gefahren 


und sehen die moderne Bewässerung. 


Mit dem Pass hat uns unsere Tankstellenlogistik verlassen und so fahren wir und fahren wir ohne an irgendeiner Logistik vorbeizukommen. Wir haben zwar genug Wasser, aber irgendwann Hunger. Es kommt nach 14:00 Uhr, da sind wir schon über 70 km gefahren, ein kleiner Laden, an dem wir halten. Wir entschließen uns, dort zu picknicken und kaufen Brot, Cola und Wurst ein. Ein Teil davon wird uns geschenkt. Als wir sitzen, bekommen wir noch Oliven, Käse, Honig und Suppe dazu geschenkt. Wir füllen unsere Wasser und Saftvorräte auf und auch das wird uns geschenkt. Es ist ein kleiner Laden, der von vier Generationen an Männern geführt wird. Wieder sehen wir viele der Männer, die Kopftücher tragen. Obwohl Mitte November ist, sind viele der Felder neu eingesät, gerade auch nach dem Pass. Überall wird bewässert und gleichzeitig treiben Hirten ihre Schaf- und Ziegenherden über die Felder. Die Tiere erfreuen sich an dem frischen Grün, der Bauer bestimmt nicht an den Tieren. Wie auch immer das Verhältnis der beiden Berufsgruppen zueinander sein wird, wir können es uns nicht spannungsfrei vorstellen. Zwischen den Feldern sehen wir viele kleine Dorfer, die meisten in der traditionellen Bauweise aus Lehm, aber auch ganz moderne und bunte dazwischen. Auffallend dabei ist, dass viele der Dörfer keine Moschee haben, so haben wir seit heute morgen keinen Muezzin mehr gehört. Dafür bestehen viele Tankstellen aus großen Moscheen, ein wenig wirkt es wie Moschee mit Tankstellen, auch dort ist kein Muezzin zu hören. Immer wieder gibt es große Häuser mit modernsten Gerätschaften, kurz danach Pferdewagen. An einer Tankstelle holen wir Wasser und finden kurz dahinter ein unbewohntes Haus mit Nebengebäude zwischen und hinter dem wir den Schutz für die Nacht suchen. 


Diese fängt bei uns um 17:00 Uhr an, denn da ist es stockdunkel, 


geht dafür nur bis 4:00 Uhr morgens. 

Uebrigens: Vor 100 Tagen waren wir in Amorbach!